Mittwoch, 21. Juli 2010

"Ende der Gottesleugnung: Atheismus ist tot!"

Nun mal ein ganz besonders schönes delusionäres Schmuckstück:




Man muss schon sagen: Der Soundtrack ist gut gewählt und lässt an Dramatik nichts zu wünschen übrig. Auch die Bilder sind beachtlich: lodernde Flammen, die vom "Zusammenbruch des Atheismus" künden, Stonehenge mit zeitgerafftem Wolkenhimmel, ein Sonnenuntergang vor düster dräuenden Wolken. Da bleibt kein Auge trocken.

Und dann die Stimme aus dem Off...: In einem erfreulich nüchternen Duktus (wenngleich auch zeitlich zuweilen etwas gestrafft) wird die Geschichte des Atheismus und seine angebliche Widerlegung durch die neusten Erkenntnisse der Wissenschaft dargestellt. Die Nennung (mehr ist es nicht) der Vertreter einer im Video zu Recht oder Unrecht geziehenen atheistischen Position überspringe ich jetzt mal. Abgesehen von der tendenziösen, unterkomplexen Beschreibung kann man das im Großen und Ganzen so stehen lassen. Weitaus interessanter sind die vorgeblichen "Widerlegungen" des Atheismus durch die Wissenschaft. Dabei verrät eine kurze Einblendung (0:43), dass das Video sich an den Werken von Harun Yahya orientiert, dessen Webseite über seine Intentionen umfänglich Auskunft gibt.

Zunächst wird mehrfach ganz allgemein darauf hingewiesen, dass es die moderne Wissenschaft selbst ist, die die Grundannahmen des Atheismus widerlegt. Die Fortschritte in Politik, Soziologie, Astronomie, Biologie, Psychologie und Sozialethik würfen diese Grundannahme(n) um, um nicht zu sagen: "über den Haufen".

Als Beleg wird folgende "Analyse" des angeblich bekannten amerikanischen Autors Patrick Glynn (von dem anscheinend nur zwei Bücher erschienen sind, wovon nur besagtes verfügbar ist) zitiert:
Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat nahezu alle wesentlichen Grundannahmen und Vorhersagen über den Haufen geworfen, die über die Existenz oder Nichtexistenz Gottes von einer früheren Generation moderner, säkularer, atheistischer Denker gemacht wurden...
Im Verlauf eines Jahrhunderts in der großen Debatte zwischen Wissenschaft und Glauben haben sich die Ansichten vollständig geändert... Heute weisen alle konkreten Daten in die Richtung der Gottes-Hypothese...
(aus: "GOD - The Evidence",
1997, S. 19-20; Video: 3:55)
Dabei fällt zunächst die Wortwahl des Sprechers auf: Die mit dem angeführten Zitat belegte Behauptung wird als Analyse bezeichnet. Bei einer Analyse handelt es sich jedoch nicht nur um eine bloße Tatsachenbehauptung, sondern vielmehr um eine systematische Untersuchung auf der Grundlage einer Zerlegung des betrachteten Gegenstands. Womöglich wird eine wie auch immer geartete Analyse in dem angeführten Buch durchgeführt. Viel wahrscheinlicher erscheint aber die Annahme, der Ersteller des Videos ist sich über den Begriff der Analyse und die damit verbundenen wissenschaftlichen Methoden (die sich je nach Disziplin unterscheiden) nicht im Klaren.

Im Weiteren werden zwei vermeintlich atheistische Grundbehauptungen als angeblich falsch entlarvt:
  1. Die Hypothese von der ewigen Existenz des Universums sowie
  2. die Hypothese von seiner zufälligen Entstehung.
Als Beleg für die Erschaffung des Universums werden die Urknalltheorie und die ihr zugrunde liegenden Beobachtungen einer Ausdehnung des Alls angeführt. Tatsächlich war zu Beginn des 20. Jhds. noch nicht klar, ob das Universum, wie wir es kennen, einen Anfang besitzt, oder ob es nicht vielmehr anfangslos schon immer existierte. Letztere Position vertrat etwa der 1600 auf Betreiben der Inquisition wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen hingerichtete Giordano Bruno, der die (zeitliche und räumliche) Unendlichkeit des Alls aber durchaus mit der Annahme eines unendlich mächtigen Gottes vereinbar fand. Erst die astronomische Entdeckung der Rotverschiebung entfernter Nebeln Anfang des 20. Jhds. legte die Vermutung eines sich ausdehnenden Alls nahe. Die theoretische Grundlage einer solchen Ausdehnung hatte, unbenommen seiner zunächst anderslautenden persönlichen Auffassung, Albert Einstein im Jahr 1915 mit seiner Allgemeine Relativitätstheorie geliefert. Die erste Ausformulierung einer Ausdehnungstheorie des Alls entwickelte jedoch erst 1927-33 der Priester und Astronom Georges Lemaître. Der theologische Hintergrund Lemaîtres forderte dabei atheistische Kritiker heraus, von denen Sir Fred Hoyle der theologiekompatiblen Theorie des "Ureis" den eigentlich lächerlich gemeinten Namen "Big bang" verlieh.

Tatsächlich hat die Vorstellung eines durch einen Urknall entstandenen Universums atheistische Wissenschaftler immer wieder zu Zweifeln angeregt. So auch den ehemaligen Herausgeber des Wissenschaftsjournals Nature John Maddox, der 1989 in seinem Artikel Down with the Big Bang (Nature, 340: 425, 1989) gegen diese Theorie Stellung bezog. Unglücklicherweise nicht auf der Grundlage besserer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern aus weltanschaulichen Gründen, da die Urknall-Theorie kreationische Positionen rechtfertigen würde. Eine solche, durchaus unwissenschaftliche Folgerung von einer weltanschaulichen Ansicht auf eine wissenschaftliche Theorie goss freilich Wasser auf die Mühlen der Kreationisten. Mit seinem sicher gut gemeinten Artikel hatte Maddox der Wissenschaft einen Bärendienst erwiesen. Entsprechend findet sich der Verweis auf ihn auch in diesem Video (5:15).

Kreationisten folgern nun aus der Expansion des Alls seine "Geschaffenheit". Wenn das Universum einen Anfang besitzt, so auch die Meinung im Video, muss ein Gott es erschaffen haben.
Materie und Zeit wurden von einem unendlich mächtigen Schöpfer erschaffen, der an beides nicht gebunden ist. Der Schöpfer des Universums, das wir bewohnen, ist Allah, der Herr aller Welten.
(6:05)
Dies muss jedoch keineswegs notwendig der Fall sein. Der Verweis auf eine zufällige Entstehung mag Vielen an dieser Stelle womöglich nicht genügen. Gemäß dem Grundsatz "von nichts kommt nichts" bleibt stets die Frage nach der Grundlage einer zufälligen Entstehung. Dass diese selbstverständlich durch die Annahme eines Gottes ebenfalls nicht beantwortet wird, ist sofort einsichtig. Aber anscheinend fällt es vielen Gläubigen leichter, die Kette von Fragen bei einem persönlichen Gott enden zu lassen, als bei den letzten empirisch belegbaren Tatsachen...

In einem weiteren Teil sucht das Video die Hypothese einer zufälligen Entstehung (und Entwicklung) des Universums zu widerlegen. 
Wissenschaftler haben zum ersten Mal 1970 entdeckt, wie sensibel die physikalischen Gleichgewichte im Universum zusammengewirkt haben, damit menschl. Leben entstehen konnte.
(7:00)
Unterlegt ist diese Behauptung interessanterweise mit einem Bild des im Rahmen des SETI-Projekts aufgezeichneten sog. Wow-Signals, das zwar für sich genommen durchaus interessant ist, aber in überhaupt keinem inhaltlichen Zusammenhang mit den Aussagen des Videos steht. Immerhin sieht man ein offensichtlich auf wissenschaftlichem Wege erzeugtes Dokument mit unverständlichen Zahlen- und Symbolreihen, auf dem ein erstauntes "Wow" notiert ist. Ansonsten belegt dies nur die Leichtfertigkeit, mit der hier Wissenschaft missbraucht wird.

Die Kernaussage lautet nun:
Als die Forschungen sich vertieften fand man heraus, dass die Gesetze der Physik, Chemie und Biologie, fundamentale Kräfte wie Gravitation, Elektromagnetismus sowie die Struktur der Elemente dem menschlichen Leben ideal angepasst sind.
(7:17)
Diese Aussage dokumentiert am besten, wie wenig dem Ersteller des Videos, und mit ihm sicher die meisten Kreationisten, die Kopernikanische Wende gelungen ist. Selbstverständlich stehen die Naturgesetze im engsten Verhältnis mit dem menschlichen Leben! Wie solten sie auch nicht? Denn wären sie nicht so ausgestaltet wie es der Fall ist, gäbe es (wahrscheinlich) kein (menschliches) Leben, ja vielleicht noch nicht einmal Materie. Dieses "Anthropische Prinzip" spricht jedoch überhaupt nicht gegen eine zufällige Entstehung. Genauso wenig lässt sich aus einem Lottogewinn der Schluss ziehen, er wäre gottgewollt. Irgendjemand knackt den Jackpot - und falls nicht, gibt's die Woche drauf die nächste Chance. Die Feinabstimmung der Naturkonstanten, auf die hier verwiesen wird, ist natürlich erstaunlich. Ebenso erstaunlich wie ein Lottogewinn - für den Gewinner. Für die Lottogesellschaft indes ist er eine regelmäßig vorkommende Banalität.

Die Verwunderung über die Tatsache, dass dem Universum just solche Naturkonstanten und Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, die unsere Entstehung ermöglichen, lässt sich mit Verweis auf die Viele-Welten-Interpretation abschwächen. Wenn unser Universum nur Teil eines weitaus größeren Multiversums wäre, in dem jede Menge (um nicht zu sagen: alle möglichen) weiteren Universen existieren, die von unserem zum Teil auch deutlich abweichen, muss man nicht mehr erstaunt sein, dass es uns überhaupt gibt. Wir wären die glücklichen Lottogewinner.

Eine alternative Antwort bietet darüber hinaus die Vorstellung eines "schwingenden" Universums. So ist es durchaus vorstellbar, dass einem Urknall und der anschließenden Ausdehung des Alls ein Kollaps folgt und das Universum schließlich in einem Big Crunch zusammenfällt, dem wiederum ein neuerlicher Urknall folgt. Die Naturkonstanten des auf diese Weise neu geschaffenen Universums könnten dann abhängen von den letzten Strukturen der in den Big Crunch eingegangenen Materie. An dieser Stelle wird die physikalische Kosmologie hochspekulativ, aber das sind ja gerade die spannenden Bereiche der Wissenschaft.

Beide Überlegungen zeigen, wie gut sich die Vorstellung eines sich entwickelnden Universums mit der eines ewigen "Metaversums" vereinbaren lässt. Freilich bleibt die Frage nach der Grundlage dieses Meta-/Multiversums...

Wie ist also abschließend dieses handwerklich sicher nicht schlecht gelungene Filmchen zu bewerten?
Die Belege der Kernaussagen stellen sich bei näherer Betrachtung als nicht belastbar heraus. Weder die Entstehung des Universums aus einer Singularität, noch die spezifische Form der Naturkonstanten und -gesetze lässt den Schluss auf eine göttliche Erschaffung des Universums zu.

Und im übrigen: selbst wenn dies der Fall wäre, bliebe immer noch zu klären, durch welchen Gott. Bis zur (Wieder-)Aufnahme dieser Hypothese (Laplace) in kosmologische Theorien sollen sich die entsprechenden Glaubensvertreter bitte erst einmal über ihre Gottesvorstellung einig werden. Wenn es soweit ist, kann man evtl. die Existenz Gottes wieder in Erwägung ziehen (sofern man dann nicht ohnehin dazu gezwungen wird).

(Mit freundlicher Genehmigung der religionsfreien Zone)

Allgemein fällt bei diesem Video die von Kreationisten und Verwandten oft verwendete Strategie auf, die deutlich auf die vorempirischen Wurzeln dieser Argumentation verweist: Gern werden Behauptungen zitiert, am besten von namhaften Personen, doch eine eigenständige Prüfung, gar eine empirische, dieser Aussagen wird weder geliefert noch angeregt. Es besteht hier eine deutliche Nähe zur Geisteshaltung der Scholastik, bei der die herangezogenen Autoritäten unkritisiert die Axiome für die weitere Argumentation bildeten. Erst die von Francis Bacon begründete empirische Methode brach mit dieser Vorgehensweise. Und hinter Bacon (1561-1621) indes fällt der Ersteller dieses Videos zurück. Er ist auf dem besten Weg ins Mittelalter.

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